Freitag, 30. August 2024

Der Wind bringt kühle Luft

Die Männer auf der Baustelle werden auch froh darüber sein. Ich bin froh, weil ich ein klärendes Wort gesprochen habe. Nein. Ich möchte dich nicht weiter (oder näher) kennenlernen. Das lag mir auf dem Magen. Gestern Abend. Heute Morgen. Ich Psychosomat. Mein Körper reagiert, wenn ich es nicht tue. Weil ich eigentlich immer noch ein liebes Mädchen sein möchte. Und dann rede ich mich damit heraus, dass in meiner frühen Konditionierung ein Nein eben nicht erwünscht war. Himmel. Ich bin erwachsen. Eine alte Frau (oder ist frau doch erst ab 75 alt?) inzwischen. Die, wenn sie die sein will, die sie gerne wäre, immer wieder üben muss.

Dabei wäre es mir viel lieber, wenn jemand einfach dieses alte Programm löschen würde. Die liebe Göttin. Das Universum. Die Quelle. Aber da löscht keine/r. Da wird darauf gewartet, dass ich aktiv werde. Dass ich übe, bei mir zu bleiben. Bei meinen unangenehmen Gefühlen. Bei den Vermeidungsstrategien, für die ich mich schäme, was erst recht niemandem nützt. Dabei ist es so einfach (ha!). Bei mir sein. Fühlen. Spüren. Die richtigen Worte dafür finden. Das Verhalten den Worten anpassen. Om. Amen.

Donnerstag, 29. August 2024

Noch kann der See sich ein wenig ausruhen

In ein paar Stunden wird hier jedes Uferstück belegt sein. Uns kommt ein Paar mit Handtüchern unter den Armen entgegen. Der Mann lächelt das Fräulein an. Was schaust du denn so misstrauisch? Das Fräulein schaut, wie es schaut. Hat der Mann vielleicht mich gemeint? Ich werde nicht misstrauisch dreinblicken, aber Glück sieht anders aus. Die Füße tun mir weh. Ich habe das Gefühl zu dampfen. Und eigentlich sind mir hier auch zu viele Menschen. So insgesamt. Nach Hause gehen wir auf schattigen Seitenstraßen. Hier an dieser Stelle haben wir gestern das Rotkehlchen getroffen.

Es kam angeflogen, setzte sich auf den Zaun, keine 20 cm von mir entfernt. Und da saß es dann und schaute uns an. Das Fräulein setzte sich sehr interessiert, ich machte ein bisschen Konversation. Hallo. Guten Tag. Schön, dich zu sehen. Und das war keine hohle Floskel. Ich bin gerührt, wenn sich mir ein Tier so unverhofft nähert. Das Rotkehlchen flog ein Stückchen, setzte sich wieder auf den Zaun, wartete, bis wir heran waren. Dann schauten wir uns eine Weile an. Bis ich auf die blöde Idee kam und fragte, ob ich vielleicht ein Foto? Weg war es.



Dienstag, 27. August 2024

Hier kenne ich zwar nicht jeden Stein,

aber die Straßen sind mir von vielen Hundespaziergängen in den vergangenen 12 Jahren vertraut. Das Fräulein ist erwachsener geworden. Falls „erwachsen sein“ auf einen Hund angewendet „ruhiger“ bedeutet. Sie schaut sich um, schaut, ob ich ihr folge, sie hört, wenn ich sie rufe. Unsere Spaziergänge sind eher beschaulich. Ich lasse sie in Ruhe die verschiedenen Duftnoten studieren. Da kann es schon mal vorkommen, dass sie steht und schnuppert, während ich stehe und warte – wir haben schließlich Zeit – und dann kommt jemand daher, der diese Szene sieht, und der ermahnt dann den Hund. Los. Lauf jetzt mal. Das Fräulein schaut verblüfft, geht aber los. Und ich lache.

Andere informieren mich über gesunde Hundeernährung. Sie wollen doch, dass Ihr Hund alt wird, oder? Keine Fertignahrung. Nur frisches Fleisch. Das wissen Sie doch, oder? Vielleicht hätte ich fragen sollen, ob er nicht eher eine Idee hat, wie meine Füße auf angenehme Weise altern können. Im Moment tun sie sich vor allem durch Schmerzen hervor.

Zwischen den Spaziergängen mache ich dasselbe wie zu Hause. Lesen. Schreiben. Kochen. Essen. Löcher in die Luft. Allerdings stehe ich schon um 6.30 Uhr auf, gehe ohne Kaffee, noch schlafend also, mit dem Fräulein. Wanke ihm sozusagen hinterher.



Samstag, 24. August 2024

In Berlin ist es noch wärmer

Nichts bewegt sich. Kein Lufthauch. Ich fühle mich ziemlich scheußlich, zumal ich in der Nacht nicht geschlafen habe. Am Bahnhof Zoo viel zu viele Menschen. Die Rolltreppen funktionieren nicht. Nachdem ich in Nikolassee, wo es erst gar keine Rolltreppen gibt, meinen Trolley Treppen hoch und wieder runter getragen habe, glaube ich für einen Moment, dass ich ohnmächtig werde. Alles verschwimmt irgendwie. Wäre es schlimm, wenn ich jetzt verschwände? Wäre es nicht. Aber dann steige ich in den Bus, der Hund freut sich zurückhaltend über mein Erscheinen, und nach einer kurzen Pause gehen wir los zu unserem ersten Spaziergang.

Im Regionalladen ist es nicht möglich, mit Karte zu zahlen. Normalerweise habe ich Bargeld bei mir, aber ich war heute Morgen so konfus, also nein. Soll ich den Einkauf wieder auspacken? Natürlich nicht. Ich kann dem freundlichen Betreiber das Geld nächste Woche vorbeibringen. Er vertraut mir, auch wenn er sich nicht an mich erinnern kann. Und dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, liege ich im kühlen Haus und komme langsam zu mir. Bevor ich hinübergleite in einen unruhigen Nachmittagsschlaf.



Donnerstag, 22. August 2024

Der Wind heute weniger heftig

Keine 26 km/h. Gestern hat er Gartenmöbel herumgeworfen, Kissen von Stühlen, Decken von Tischen geblasen, an den Planen des Bauwagens gezerrt, die Äste der Kastanie nach unten gedrückt. Er heulte, fauchte, kam in Wogen aus dem Wald über die Wiese. Ich hatte meinen Stuhl in die hinterste Ecke des Gartens gestellt, wo ich vor möglicherweise abbrechenden Ästen sicher war. Da lag ich dann in einer Art Koma. Die Gier hatte mich fast das ganze Glas Birnen-Chutney verdrücken lassen. Einfach so. Pur. Ohne alles. Oberlecker. Aber viel zu viel für meinen Körper.

Eigentlich sollte ich einen Tag fasten, aber daraus wird nichts. Für heute Abend habe ich ein kleines Essen angekündigt. Die Bohnen müssen unbedingt verarbeitet werden. Und was sich sonst noch so in meinem Kühlschrank befindet. Alles muss raus, bevor ich übermorgen für drei Wochen verschwinde. Jetzt, in diesem Moment, würde ich allerdings lieber bleiben. So ist das ja oft bei mir. Das wird sich ändern, wenn ich unterwegs bin. Berlin. Unterfranken. Salzburg. Und dann mal schauen.



Dienstag, 20. August 2024

Vielleicht wäre ich in einem anderen Leben Bäuerin geworden

Natürlich fällt mir da sofort der Ausspruch der kleinen Tochter meiner Freundin ein. Sie war damals sechs und hatte mir gerade Zöpfe geflochten und mein Gesicht mit Schminke bearbeitet. Jetzt bist du schön. Aber eigentlich bist du nur eine harmlose Bäuerin. Von wegen Kindermund tut Wahrheit kund. Egal. Vom Nachbarn weiß ich, dass er sich manchmal um die Kühe kümmert. Als ich ihn vorgestern traf, hatte er gerade mal wieder nach dem Rechten geschaut. Vielleicht würde er sie demnächst umstellen. Kühe denken manchmal, dass sie nicht genug zu fressen haben. Auch wenn das gar nicht stimmt. Beschweren tun sie sich trotzdem. Ich höre das gelegentlich.

Spontan habe ich gefragt, ob ich nicht einmal mitkommen dürfte. Hm. Ja. Warum nicht. Wäre aber sehr unspektakulär. Egal. Ich mag Kühe. Ich freu mich immer, wenn welche bei uns hinter dem Gartenzaun stehen, freu mich, wenn plötzlich ein erstauntes Gesicht über den Brombeeren auftaucht. Du wohnst auch hier?

Kaum war der Hausmann gestern fort – er macht sich mal wieder für Wochen vom Acker – klopfte es. Es wäre so weit mit den Kühen. Wenn ich immer noch wollte? Natürlich wollte ich. Jetzt weiß ich, dass es stimmt. Es ist unspektakulär. Der Weidezaun wird an einer Stelle geschlossen, an anderer geöffnet, und dann laufen die Kühe eigentlich von alleine. Es sei denn, sie sind irritiert. Und das sind sie sehr schnell, wie mir gestern erzählt wurde. Sehr empfindsame Wesen sind das. Da reicht eine unbekannte Person, schon stehen sie. Und bleiben auch stehen. Und das solle ich nicht persönlich nehmen, das hätte nichts mit mir zu tun. Wer mag kann sich vorstellen, in welche Gefühlslage die Tiere geraten, wenn man sie auf einen LKW treibt und zum Schlachten fährt.

Ich habe mich dann hinter einen Heuballen verzogen, während der Nachbar rief und lockte. Irgendwann kamen sie dann. Ich hätte sie gerne alle umarmt und ihnen versichert, dass ich kein Fleisch esse. Was allerdings gelogen wäre. Vielleicht dies: Kein Wiener Schnitzel in diesem Jahr.



Montag, 19. August 2024

Als ich vor ein paar Wochen gefragt wurde,

ob ich denn trotz Geburtstag zum Brunch käme – wohl eher nicht, oder? – musste ich tatsächlich ein wenig überlegen. Ich hatte noch keine Pläne. Normalerweise stresst mich der Gedanke an meinen Geburtstag auch. Erst vorhin ist mir aufgefallen, dass ich in diesem Jahr keine Vorgeburtstagsdepression hatte. Keine Ahnung, ob es mit meiner Abstinenz zu tun hat oder mit den nächtlichen Exerzitien.

Es war ein sehr schöner Tag. Angefangen beim Frühstück im Garten mit dem Hausmann und Frau J., und dann ist es immer so weiter gegangen. Teilweise unbekannte Menschen haben mir jeweils eine Sonnenblume geschenkt, eine konzertierte Aktion, da ist ein ganzer Eimer voll zusammen gekommen, und Happy Birthday wurde zur Gitarre gesungen. Auch im weiteren Verlauf des Nachmittags und frühen Abends gab es immer wieder Gesangseinlagen. Da wurden eigene Songs vorgetragen, und wer nicht singen konnte oder wollte, der las ein selbst geschriebenes Gedicht. Das gefällt mir inzwischen richtig gut. Bänke und Tische wurden mal in die Scheune hinein, dann wieder herausgetragen, Babys wollten nicht schlafen, der kranke Hund war im Liebesrausch, Die Speisen auf dem Büfett köstlich. Leider konnte ich nichts davon probieren, nach zwei Stücken von der oberoberleckeren Himbeertorte passte nichts mehr in mich hinein.

Erstaunt hat mich, dass der Cava, den ich zum Anstoßen mitgebracht hatte, von den meisten abgelehnt wurde. Ist der mit oder ohne? Mit. Dann nicht, danke. Die Zeiten haben sich doch sehr geändert. Für mich war es nach mindestens 50 Jahren das erste Mal, dass ich an meinem Geburtstag keinen Alkohol getrunken habe, mich aber trotzdem so gefühlt habe, als hätte ich. Ein wenig aufgekratzt.  So oder so ähnlich wünsche ich mir das jetzt schon mal für das nächste Jahr. Vorhin habe ich nämlich zum Hausmann gesagt, dass ich den 70sten vielleicht doch feiern werde. Vielleicht.




 

Samstag, 17. August 2024

Als ich losgefahren bin,

waren es gerade mal ein paar Tropfen. Kaum auf der Landstraße, öffnet sich im Himmel über mir eine kleine Schleuse. Beim Hund angekommen bin ich nass bis auf die Unterhose. Der Hund freut sich, mich zu sehen. Nach der Begrüßung holt er sich sofort eine Möhre aus dem Korb. Ein gutes Zeichen. Ich habe eine kurze Hose dabei, in die steige ich, über die Schultern kommt ein Tuch, das ich bei der Freundin finde. Jetzt bin ich gerüstet für den Morgengang mit meinem Freund. Kein Regen. Nirgends. Als wäre nichts gewesen.

Obwohl ich den Laptop dabei habe, versinke ich später in einem Buch. Komme nur daraus hervor, um ein paar Worte mit dem Hund zu wechseln, ihm Kopf und Bauch zu kraulen, auch durch den Garten schlendere ich, aber dann kehre ich zurück zu Max Morden. Der in John Banvilles großartigen Roman „Die See“ versucht, irgendwie mit dem Tod seiner Frau klarzukommen. Dafür ist er an den Ort seiner Kindheit zurückgekommen. Hier hatte er mit seinen Eltern die Ferien verbracht, die erste Liebe und den ersten großen Verlust erlebt. Was für eine Wucht, was für ein Buch. Das ich aus mir unbekannten Gründen bisher nicht auf dem Schirm hatte. Das ich auch jetzt eher beiläufig aus der Buchstation mitgenommen und das ich beinahe ungelesen wieder zurückgestellt hätte. Das wäre ein Fehler gewesen. Denn wieder einmal erlebe ich – wie eigentlich recht häufig in letzter Zeit -, wie glücklich lesen machen kann.



Donnerstag, 15. August 2024

Mal wieder in Kyritz im spielRaum

Ich sitze bei weit geöffneter Tür in dem großen Raum und sehe immer wieder Fußgänger, die neugierig durch die Schaufenster blicken. Ich lächle - wie ich hoffe - einladend. Manche lächeln zumindest zurück, auch eine Hand zum Gruß wird erhoben, aber zu mir herein kommt keiner. Das ist schade, denn die Fotos der Berliner Fotografin Simone Weigelt, die noch bis September hier zu sehen sind, lohnen die Betrachtung. Viele Tattoos an nackten Männeroberkörpern, Berliner Typen eben, aber mir gefallen die Fotos aus der Tanz-Serie am besten. Bewegung auf einem Bild festzuhalten, finde ich schwierig, aber hier scheint es mir gelungen.

Wenn jetzt niemand kommt, dann probiere ich ein bisschen mit der Blackout-Methode herum. Die ich bisher noch nicht zum Texten verwendet habe, die mir aber auf Anhieb gefallen hatte, nachdem ich darüber gelesen habe. In einem vorhandenen Text - in einer Zeitung, einem Buch - suche ich nach einzelne Wörtern, die mir besonders gefallen oder die mir ins Auge stechen, alles andere wird geschwärzt. Dafür kann man z. B. Bücher verwenden, die man sonst entsorgen würde. Auf dieses Weise entsteht in Windeseile etwas Neues, viel schneller noch als bei der Cut-Out-Methode. Wer will, könnte sogar das ganze Blatt noch künstlerisch gestalten. Aber das habe ich nicht vor. Mich interessieren die kleinen Texte.


Eines Tages war Herbst. Ich erinnere mich. Auf den Feldern wurden die Farben zu Glas. Sterne umringten uns. Alles verwandelte sich. Das Mysterium kann man nur schweigend erfahren, sagtest du. Noch nie hatte ein Engel zu mir gesprochen.


Mittwoch, 14. August 2024

Wenn ich morgens mit Kaffee und Tagebuch im Bett sitze,

dann sehe ich die Wiese nicht mehr. Die Feige nimmt mir die Sicht. Ich schwanke zwischen Ärger und Freude. Soll ich sie heimlich kappen? Wollte ich nach dem Reh Ausschau halten, das seit ein paar Tagen immer mal wieder im hohen Gras auftaucht - manchmal entdecke ich gerade mal die Ohren - müsste ich das Bett verlassen. Aber das Bett zu verlassen ist sowieso eine gute Idee. Geh in den Garten und lauf auf dem feuchten Gras. Begrüße die Kühe auf der Weide, die Bäume und Sträucher. Atme und fühle das Leben in dir.



Dienstag, 13. August 2024

Mit dem zweiten Kaffee in den Garten

Meine nackten Füße auf feuchtem Gras. Wie ich das liebe. Die Tomaten bekommen Wasser, auch für die Bohnen ist noch etwas übrig. Gestern Abend hat der Hausmann die ersten gepflückt und auch gleich zubereitet, damit er etwas abbekommt, bevor er wieder nach Berlin verschwindet. Sehr lecker. Heute muss ich einkaufen, da hilft alles nichts. Beim Radeln übe ich laut Rilkes erste Duineser Elegie. Ich weiß, es ist traurig, aber mehr als ein Viertel kann ich immer noch nicht. Doch ich bin frisch inspiriert. Von Markus Grimm und seinem Kanal „Literatur ist Leben“. Den ich hiermit empfehle.

Markus Grimm ist Autor, Stadtschreiber von Sommerhausen, Schauspieler, Youtuber. Und was ich ganz besonders interessant finde – Theologe. Könnte man vielleicht drauf kommen, wenn man sich seine Überlegungen zu Rilkes Elegien anhört. Dabei habe ich nicht nur interessante Details zur Entstehung erfahren, ich habe mich vor allem über das Heilige gefreut, das da so unvermittelt aufblitzte. Ein Kanal für alle, die sich gern inspirieren lassen. Verrisse gibt es nicht. Ich überlege tatsächlich, „Don Karlos“ zu lesen. Von diesem Drama erzählt Markus Grimm in einer anderen Folge, dabei schwärmt er auch von einem Fernsehspiel von 1984, in dem der junge Robert Atzorn den Marquis von Posa spielt. „Ich bin …nicht vorbereitet, was ich als Bürger dieser Welt gedacht, in Worte ihres Untertans zu kleiden… Ich kann nicht Fürstendiener sein.“ Wenn mich nicht alles täuscht, war dies derselbe Marquis, der auch Gedankenfreiheit forderte.

Zum Sonnenuntergang dann wieder ins Wehr. Wo schon junge Leute mit Hunden sitzen. Ich fahre zum üblichen Platz. Der leichte Wind nach der Hitze des Tages sehr angenehm. Ab und zu höre ich Stimmen, etwas platscht aufs Wasser. Die Pferde schnauben. Stare fliegen Formation. Und die Pappeln….die rascheln natürlich mit den Blättern.




 

Montag, 12. August 2024

Die Tauben machen Baupause,

sagt der Hausmann. Das stimmt. Sie haben aufgehört, hin und her zu fliegen und kleine Zweige auf uns drauf fallen zu lassen. Wir machen schon die ganze Zeit Pause. Schwimmpause. Nudelsalatpause. Kaffeepause. Usw. Auch die Frösche machen Pause. Sie sonnen sich auf den Steinen am Ufer, und wenn ich ins Wasser gehe, macht es erst einmal platsch platsch links und rechts von mir. Natürlich machen auch die Libellen Pause. Dafür setzen sie sich auf den Strohhut, den Lenker, den Gepäckträger, gern auch auf nackte Körperteile.

Noch nie habe ich so viele unterschiedliche Libellen – zart grüne, rote, braune, schwarze, gelbe, lila farbene, alle Größen – gesehen wie in OPR. Obwohl, jetzt sind wir ja in Sachsen-Anhalt.

Der Mann aus Wusterhausen, der hier immer mal wieder mit seinem Kescher und der Angel auftaucht – er will den Hecht rausholen, der sich uns schon einige Male gezeigt hat – der findet, wir wären sehr ausdauernd heute. Der kennt uns nicht. Der weiß nicht, wie ausdauernd wir sein können, wenn das Ambiente stimmt. Als wir später nachrechnen, kommen wir auf fünf Stunden am Fluss. Sieben Stunden waren wir insgesamt unterwegs. Da ginge noch was.


 

Sonntag, 11. August 2024

Nachdem sich das letzte Paar verabschiedet hat,

räumen wir das Geschirr zusammen, und weil gerade Musik läuft, tanze ich ein bisschen durch den Garten. Und stecke damit sogar den Hausmann an. Das ist erstaunlich. Als Tänzer hat er sich bisher nicht gerade ausgezeichnet. Wenn man so tanzen könnte wie Hugh Grant, sagt er. Ich weiß sofort, was er meint. Er sucht die Szene aus dem Film „Alles Liebe“, und dann probieren wir spontan die Choreographie. Wir sind beide etwas aufgekratzt. Das war ein netter Nachmittag mit den beiden neuen Paaren aus dem Nachbardorf und ihren Kindern. Angenehm entspannt und heiter. Schön.

Es war das erste Mal, seit ich hier wohne, dass auf der Wiese Babys gewickelt wurden. Gleich zwei nebeneinander. Der Kuchen war gelungen, das Wetter war uns hold, so etwas sollten wir häufiger machen. Und weil ein schöner Tag unbedingt schön ausklingen sollte, fahren wir noch vor dem Sonnenuntergang ans Wehr. Schauen auf die Pferde, in den großen Himmel. Könnte es besser sein? Die Pappeln könnten, aber ich will nicht meckern.


 

Samstag, 10. August 2024

Und? Haben die Pappeln geraschelt?

Das ist die erste Frage, die der Hausmann stellt, kaum habe ich mich auf den Gartenstuhl fallenlassen. Haben sie. Das war sehr, sehr schön. Und der Hund ist ohne Widerrede mit mir gelaufen. Einen neuen Weg habe ich auch ausgekundschaftet. War das ein Himmel. Aber jetzt müssen wir erst einmal eine Bestandsaufnahme machen. Keiner von uns beiden hat Lust, nach Neustadt zu fahren. Wenn wir morgen aber wirklich acht wären beim Kaffeetisieren, dann brauchen wir zwei Kuchen.

Wie viele Eier? Reicht das Mehl? Butter habe ich. Zucker hat er. Ich kann mich entspannen. Ich muss nirgendwohin. Das ist gut, denn ich habe so wenig geschlafen, dass ich nach dem Essen in eine Art Koma falle. Da muss ich die Einladung ausschlagen, mit der Gärtnerin nach Wolsier zum Konzert zu fahren. Ich kann auf keinen Fall sitzen oder stehen. Und mit dem Hausmann ans Wehr fahre ich auch nicht, selbst wenn da die Pappeln vielleicht am schönsten rascheln.



Donnerstag, 8. August 2024

Für die Fahrt mit dem Rad

waren Strumpfhose und Jacke gerade richtig, im Zug muss ich beides ausziehen. Ich dampfe. Mit den geschlossenen Schuhen bin ich auch nicht glücklich. Aber meine Sandalen haben nach 10 Jahren den Geist aufgegeben. Zeit für ein neues Paar. Auf dem Weg zur Bibliothek komme ich an einem Schuhgeschäft vorbei. Zu klein. Zu groß. Zu eng. Ich probiere bestimmt 15 Paar und wundere mich über die Geduld der Verkäuferin. Dann hat sie Feierabend. Ein Mann übernimmt. Er findet, die Sandalen sähen gut aus. Bequem sind sie. Die bequemsten bisher. Aber weiß? Das geht gar nicht. Sie wären ja nicht weiß. Eher beige. Das ist ja noch schlimmer.

Er zeigt auf die Reihe mit den Schuhen. Ich würde doch gar nicht auffallen. Viele tragen diese Farbe. Um das Auffallen geht es mir nicht. Außerdem: Wer schaut einer alten Frau schon auf die Füße? Mir selbst muss die Farbe gefallen.

Darf ich fragen, wie alt Sie sind? Natürlich dürfen Sie. 70. So alt ist er auch. Ich habe ein Jahr dazu geschummelt. Irgendwie ist die 69, die ich ja genau genommen erst nächste Woche werde, ein Dorn in meinem Auge. Ich weiß nicht, warum. Aber gut. Die Schuhe sind bequem, ich kaufe sie. Und dann ergibt sich spontan ein sehr nettes Gespräch. Ich bin öfter hier, erzähle ich am Ende. Bibliothek, spielRaum, die Dichterinnen, da komme ich bestimmt mal wieder vorbei. Das würde ihn freuen. C. treffe ich zufällig ein paar Meter weiter. Chice Schuhe, sagt sie und meint es anscheinend ernst.

 

Mittwoch, 7. August 2024

Mit Blitz und Donner

geht ein perfekter Sommertag seinem Ende entgegen. Eigentlich habe ich ihn an der Havel verbringen wollen. Aber dann musste noch der Akku vom Bike aufgeladen werden, und in der Zwischenzeit wollte ich noch einmal versuchen, die PHP-Version für meine Webseite upzudaten. Auch wenn ich nicht verstanden habe, wofür genau ich PHP brauche. Es ärgert mich nur, dass Strato sich das Supporten der alten Version ordentlich bezahlen lässt. Aber es war wie schon häufiger in der Vergangenheit. Wenn die höhere (kostenfreie) Version installiert ist, funktioniert meine Webseite plötzlich nicht mehr. Dann deinstalliere ich Firefox, installiere neu, lande letztendlich nach Stunden wieder bei der alten, kostenpflichtigen Version.

Erstaunt hat mich der Punkt, dass ich relativ ruhig geblieben bin. Kein Reflex, in die Tischkante zu beißen oder den Laptop durch das geschlossene Fenster zu werfen. Aber ich fühle mich sowieso so weich heute. Geradezu lieblich. Vielleicht eine Nachwirkung der ersten Atem-Session, die ich gestern Abend hatte. Der verbundene Atem interessiert mich schon länger, nun konnte ich ihn dank Zoom ganz entspannt zu Hause ausprobieren. Die wunderbare Anastasia Umrik erklärte nicht nur das Procedere, sie schaute später auch, wie es jeder so ging in ihrem Prozess. Irgendwann mittendrin dachte ich – eigentlich soll man nicht denken, das klappte die meiste Zeit auch recht gut – dass es vielleicht schöner wäre, wenn ich mich hinterher von echten Menschen berühren lassen könnte. Aber dann war ich doch sehr froh, dass ich nur ein paar Schritte machen musste und schon im Bette lag. Was war ich müde.



Dienstag, 6. August 2024

Eigentlich wollte ich nur zum Bäcker

Ich brauche gescheites Brot. Doch siehe: Der Bäcker macht Urlaub. Es sei ihm gegönnt, aber was mache ich? Fahre ich wirklich nach Neustadt? 11 km für ein Brot? Hin und zurück also 22? Das ist ein bisschen übertrieben. Zumal ich kein Schloss dabei habe. Ich könnte wirklich nur schnell zu Thonke hineinhüpfen. Egal. Ich fahre die Strecke ja gern. Vorbei an Wiesen, Feldern, Kranichpaaren, Silberreihern, Störchen. In der Luft die Aromen des Sommers. Ich mag die noch angenehme Frische. Das Licht. Auf dem Rückweg sehe ich, dass der Sieversdorfer Jungstorch das Nest verlassen hat. Bald muss er allein die weite Reise in den Süden antreten. Wer weiß, ob er sich nächstes Jahr an seinen Geburtsort erinnert.



Sonntag, 4. August 2024

Über mangelnden Regen

können wir uns nicht beklagen. In der Nacht hat es gegossen, mittags auch. Als würden sich für Minuten Schleusen öffnen. Dem Garten bekommt es. Die Bohnen sehen prächtig aus. So viele Blüten. Kaffeetisiert wird zu dritt. Diesen Sonntag hat wieder der Hausmann gebacken. Johannisbeerkuchen mit Baiser. Er hat es einfach drauf. Abends fahren wir ans Wehr. Wir haben schon einige Male junge Leute gesehen, die dort baden. Hinein kommt man ja irgendwie, aber wie wieder heraus? Das kühle Wasser würde meiner Haut vermutlich gut tun, doch mir ist kalt, zu steil ist es mir auch. Aber dem Hausmann meine Hand reichen könnte ich, wenn er sich traut. Natürlich traut er sich.

Später fährt er schnell nach Hause, ein Katzensprung nur, holt Decken, für jeden ein Bier. Einmal mit, einmal ohne (Tag 173 ohne), und dann sitzen wir auf dem Deich und genießen die letzten Sonnenstrahlen. Das Wasser vom Wehr rauscht, die Pappeln rauschen, vor uns auf der Wiese Kühe, links Pferde, über uns Schwalben, ab und zu Gänse. Und über allem dieser große Himmel. Das sind so Momente….



 


 

Samstag, 3. August 2024

Kein Wind

Die Luft steht. Da rascheln natürlich auch keine Pappeln. Da raschelt überhaupt nichts. Der Hund hat keine Lust auf meine Wege. Das ist eine neue Entwicklung. Ich biege ab. Er bleibt stehen. Schaut, ob ich es ernst meine. Na komm schon. Nö. Sieh mal zu, wie du damit klar kommst. Ich setze mich in den Schatten gleich unter die erste der nicht raschelnden Pappeln. Packe mein Frühstück aus. Käsebrote. Kaffee. Hunde können ungefähr eine Million Gerüche unterscheiden. Da wird auch Käse dabei sein. Es dauert nicht lange. Vor Verlangen schielend legt er sich neben mich, rollt sich auf die Seite. Der falsche Fuffziger. Aber nur dieses eine winzige Stückchen, klar?



Freitag, 2. August 2024

Die Kühe sind wieder da

Ich habe sie gerade mit eigenen Augen gesehen, als ich die Situation bei den Johannisbeeren erkundet habe. Apropos mit eigenen Augen. Jenen Mann, der mit seinem Wirken dazu beigetragen hatte, dass ich 1981 die DDR verlassen durfte, habe ich nie mit eigenen Augen gesehen. Ich bin nie in den Grunewald gefahren, um mich zu bedanken. Zu viel war in den ersten Monaten im Westen auf mich eingeprasselt, und später…ich weiß es nicht. Seinen Nachnamen habe ich allerdings nie vergessen. Als ich gestern mit dem Freund in der Türkei telefonierte, der das alles damals in die Wege geleitet hatte, gab ich ihn noch während des Telefonats bei google ein. Der Freund hatte den entscheidenden Hinweis. Schwedische Kirche. Und zack. Plötzlich hatte ich eine ganze Webseite über Carl-Gustaf Svingel. Informationen. Fotos. Zitate vom Ostberliner Anwalt Vogel, Freund und Trauzeuge Svingels, der sich 1995 an dessen Sarg daran erinnert hatte, für wie viele der Verstorbene „ein unbekannter Schutzengel“ gewesen war. Er hatte 33000 Gefangene freigekauft – da wurde schon mal mit Waggons voller Kali bezahlt – hatte Medikamente und sogar Menschen im Kofferraum geschmuggelt. Das liest sich alles teilweise wie ein Krimi. Ich war nur eine von vielen, für die er sich verwendet hatte. 250000 Menschen hatten wie ich aufgrund seiner Intervention qua Familienzusammenführung die DDR verlassen können.

Jetzt, nach 46 Jahren, hat mein unbekannter Helfer plötzlich ein Gesicht, eine Geschichte. Noch Stunden später war ich gestern seltsam aufgewühlt, und während ich dies schreibe, spüre ich immer noch eine leichte Aufregung.



Fast geschafft

Es ist mir schon beim Frühstück aufgefallen. Die Weihnachtsmusik geht mir auf den Senkel. Vielleicht wäre es anders, gäbe es wenigstens eine...