Freitag, 20. Juni 2025

Die Bücherretterin

Zum Schluss kamen die Gänse. Schnell zogen sie an den Neuzugängen der „Auffangstation“ vorbei, der Anführerin folgend, ins umzäunte Wiesenstück neben der Sitzecke. Ein stilles Finale für einen lebendigen Besuch bei Ilona Dahlmann. 

Es war ihr 44. Hochzeitstag. Eigentlich hatte sie keine Zeit. Und doch nahm sie sich welche – wie so oft, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit berührt. Geplant war eine halbe Stunde. Doch ein Gespräch mit der Buchretterin gleicht dem Öffnen einer Wundertüte. Eigentlich sollte es um Bücher gehen – am Ende ging es um viel mehr.

Seit 16 Jahren betreibt Ilona das Antiquariat „Windlicht“ im brandenburgischen Stölln. Der Anfang? Die Rettung von DDR-Büchern vor der Vernichtung. Heute nimmt sie jedes Buch an. Rund 20.000 bis 30.000 lagern inzwischen bei ihr. Verkauft wird für wenig Geld – auch Menschen mit kleiner Rente oder geringem Einkommen sollen sich Literatur leisten können.

„Ich sterbe erst, wenn das letzte Buch verkauft ist“, sagte sie einmal im rbb. Seitdem hört sie von Kunden: „Lebensverlängernde Maßnahmen“, wenn wieder eine Bücherkiste abgeladen wird.

Doch Ilona Dahlmann rettet nicht nur Bücher, sondern auch vergessene Autorinnen. Gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen baut sie eine Datenbank auf. Jedes Buch, das jemand ihr bringt, kann der Anfang einer Recherche sein.

Ihr Radius ist überschaubar – doch die Welt kommt zu ihr. Als sie ihren Vater pflegte, schrieb sie kleine Texte über gemeinsame Ausflüge – auf Facebook. Auch Gedichte entstanden. Sie genießt das, was da ist: Garten, Natur, Hühner, Katzen – und einen Partner, der ihre Leidenschaft teilt, so wie sie die seine. Er liebt und züchtet Hühner und Tauben.

„Ich brauche keine Reisen“, sagt Ilona. „Ich bin glücklich, wo ich bin.“

Die Langfassung dieses Porträts wurde der Berliner Zeitung zur Veröffentlichung im Ressort „Open Source“ angeboten.

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