Montag, 4. Januar 2021

Mutterseelenallein. Was heißt das?

Dass man keine Mutter und keine Seele hat? Oder dass man als Seele allein ist? Ich habe mich schon immer allein gefühlt, aber jetzt fühle ich mich auf andere Weise allein. Für zwei Tage bin ich zurück in der WG. Ich habe die Schwestern getroffen und mich ein wenig trösten lassen. Ich habe mit dem Taxifahrer, dem Hausmann telefoniert und mich hinterher leer gefühlt. Ich habe in den Gesprächen nicht das gefunden, worauf ich gehofft hatte. 

Vor Jahren hatte ein Mann zu mir gesagt, er hätte das Gefühl, dass ich etwas suche. Er wüsste nicht, was es wäre, er wüsste nur, dass er es mir nicht geben könne. Dass es mir vielleicht niemand geben könne. Ich glaube, das sind die einzigen jemals an mich gerichteten Sätze, die ich mir gemerkt habe. Sie hatten mich damals, in den späten 80ern getroffen, sie berühren mich heute noch. Ein anderer kann dir nicht geben, was du brauchst. Trost. Nähe. Ich suchte diese Nähe bei einem Partner, damit ich den Schmerz nicht spüren musste. Oder vielleicht so: Ich spürte ihn, aber sie sollten ihn ein Stück mit mir tragen. Aber das konnten oder können sie nicht. Vielleicht ist es sogar eine Illusion, dass ein anderer Mensch einem echten Trost spenden bzw. die eigene Verzweiflung spüren kann. Jetzt also ist der Moment gekommen, ich bin tatsächlich allein. Früher war da immer noch eine winzige Hoffnung. Darauf, dass ich vielleicht noch einmal einen Menschen finde, den ich liebe, der mich liebt. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich all die Jahre auch darauf gehofft, von meiner Mutter gesehen und geliebt zu werden. So, wie ich bin. Und das bedeutet nicht, dass sie mir gegenüber diese Floskel von "mein Kind, natürlich liebe ich dich" benutzt. Sondern dass ich das Gefühl habe, sie nimmt mich so an, wie ich bin. Mit meinen Unzulänglichkeiten, meinen Fehlern und meinen Stärken. Und sieht nicht länger nur den Menschen in mir, der ihr den geliebten Enkel, den Erben geschenkt hat. Darauf kann ich nun nicht mehr hoffen. Ich bin allein. Aber auch ungebunden. Ich kann tun und lassen, was ich will. 

Ich weiß nicht, was ich tun will. Schreiben hat an Bedeutung verloren. Im Gegensatz zu anderen Schreibern möchte ich nicht mitreden, mitmischen unter all den Stimmen, die man in den Medien hören oder lesen kann. Nicht, weil ich glaube, ich hätte nichts zu sagen. Das nicht. Aber mein Sagen ist höchstens das Teilen einer persönlichen Erfahrung. Nur darüber kann ich berichten. Ich habe keine Theorien im Kopf, keine Ideen, wie man die Welt verändern könnte. Die Welt könnte man verändern, wenn wir uns auf das besinnen würden, was wichtig ist. Wenn wir zu uns selbst stehen und nicht versuchen würden, eine andere, ein anderer zu sein. Darüber könnte ich allerdings einiges berichten. Denn ich wollte viele Jahre lang eine andere sein. Ich habe versucht, irgendwie normal zu sein. Dazu zu gehören. Zu den über Literatur redenden, den Kulturenthusiasten, den linken Intellektuellen. Die so schöne Gedanken haben, die noch dazu so druckreif aus den Mündern kommen. 

Ein Freund hat einmal gesagt, er wäre gern der Sohn von Christa Wolf gewesen. Ich weiß genau, was er damit gemeint hatte. Wir haben uns gewünscht, zu den Künstlern zu gehören. Deswegen wären wir gern in einer Umwelt aufgewachsen, in denen Kunst eine Rolle spielt. In der über Politik, Verantwortung, Kultur, den eigenen Ausdruck geredet wird. In einem Umfeld, in dem die Werke befreundeter Künstler die Wände schmücken, und das nicht nur, damit man von anderen als Kunstkenner wahrgenommen werden möchte, sondern weil es ein Bedürfnis ist, sich mit diesen Dingen zu umgeben, weil daraus eine Befriedigung gezogen wird. Auch wenn kein anderer Mensch das jemals sehen würde. Ein Umfeld, in dem wir gefördert, erkannt werden. Stattdessen mussten wir ganz alleine unsere Bestimmung finden. Als Schauspieler oder Mann vom Theater, als Schreiber. Aber haben wir tatsächlich etwas Neues zu sagen? Wiederholen wir nicht nur - mit anderen Worten - immer wieder das, was schon unzählige Male vorher gedacht und gesagt wurde? Ich glaube schon. Weil alles, was wirklich wichtig ist, schon vor 2000 Jahren gelehrt wurde. Ich denke an die frühen Philosophen, die gleichzeitig auch Psychologen waren. Sie wussten alles, was man wissen muss. Erkenne, wer du bist. Erkenne, was du ändern kannst, was innerhalb deiner Möglichkeiten liegt, das ändere dann, und das, was du nicht ändern kannst, worauf du keinen Einfluss hast, das lass links oder rechts liegen. Eins liegt in unserer Macht. Ein anderes nicht. Sagte Epiktet. In den antiken Tragödien gab es schon alle Formen menschlichen Dramas. Natürlich verändern die Zeiten das Equipment, aber das menschliche Verhalten bleibt gleich. Es wird gelogen, betrogen, geliebt, verlassen, Kriege werden angezettelt, es gibt die, die immer alles besser wissen, obwohl sie wenig oder gar nichts wissen, es gibt die, die immer eine Meinung haben, die klug sein wollen, Ratgeber, und dann sind da die, die einfach ein schlichtes Leben leben, unbeachtet von der Masse, obwohl sie vielleicht etwas zu sagen hätten, würde man sie fragen.

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