Freitag, 31. Mai 2024

Weiße Wolkentürme über dem Wald

Garniert von einer Schicht Blau. Zaghaftes Leuchten. Gestern habe ich ein bisschen umgeräumt. Viel gibt es ja nicht, das sich herumzuschieben lohnt. Aber jetzt habe ich für ein paar Tage - vielleicht auch nur noch für heute, morgen kommt ja der Freund mit seinem Sohn – meinen Schreibplatz am Fenster. Aug in Aug mit Kleiber, Meise und Co. Hier sehe ich auch sofort, wenn ein Storch auf der Wiese landet. Wie gelassen er ausschreitet. Ich habe mich gestern sehr zügig durch das hüfthohe Gras bewegt. Zwar war ich passend gekleidet, die Wanderhose unten dicht über den Schuhen, da sollten es Zecken eher schwer haben, aber man weiß ja nie.

Es hat mir keine Ruhe gelassen, dass die Neuköllner Hundefrau, die sich hier viel besser auskennt, von einem verwunschenen Weg durch den Wald zum Deich erzählt hat. Sie geht ihn, wenn sie sich in der Alten Jäglitz erfrischen will. Da hatte ich nur noch eine Idee, nur noch einen Weg, den ich bisher nie genommen habe. Und siehe da, er führt direkt auf die Wiese. Die in diesem Jahr noch nicht gemäht wurde, wo es auch überall kleine Tümpel gibt und wo mir der Bauer vielleicht ein paar Takte erzählen würde, sähe er mich durch das Gras trampeln. Aber eh man hier mal gesehen wird.



Mittwoch, 29. Mai 2024

Gestern Abend habe ich kurz überlegt,

in die Jäglitz zu steigen. So warm ist mir beim Spaziergang zum Deich geworden. Einladend sah das Wasser nicht aus, aber wenn die Hundefrau dort ohne Geziere, dann sollte mir das auch möglich sein. So etepetete bin ich nicht. Es ist frisch geworden. Ich sitze hier mit Stulpen. Alle halbe Stunde kommen ein paar Tropfen herunter. Keine Spur von Gewitter. Dabei hatten sie das angekündigt. Lediglich eine steife Brise von vorn bescherte man mir auf dem Hinweg zum Bioladen. Ich freue mich so auf mein Bike. Der Freund will es mir am Wochenende bringen. Also, er will auf meinem Rad zu mir fahren. Mann gönnt sich ja sonst nichts. Es sei denn, es regnet heftig. Und dann…dann kann mich dieser blöde Wind mal.



Dienstag, 28. Mai 2024

Heute Nacht ist plötzlich der Rauchmelder angesprungen

Dieses Geräusch könnte einen in den Wahnsinn treiben. Allerdings kein Rauch. Nirgends. Göttin sei Dank ist er von allein wieder ausgegangen. Aber da war ich nun wach. Drehte mich hin und her. Dachte noch einmal an das Treffen vom Sonntag. An die Schatzgeber, mit denen ich bei Kaffee und Kuchen ein wenig geplaudert habe. Wie ist es dir ergangen? Fährst du immer noch täglich 20 km mit dem Rad? Fährt sie. Ein paar Mal sind wir uns sogar schon begegnet. Sie sagt, dass sie eigentlich keinen erkennt, wenn sie so unterwegs ist. Aber stimmt, einmal in Rübehorst, das warst du, oder? War ich.

Am längsten habe ich mit einer Frau aus Neustadt geredet, die als Begleiterin unseres ältesten Schatzgebers da war. Unser Projekt hat ihr sehr gefallen. Sie hätte sogar selber einen Schatz, zu dem sie sich gern befragen ließe. Die Fußbank ihrer Großmutter. Wir kamen vom Höcksken aufs Stöcksken – Schule, Ehe, Pflegekinder, sie immer aktiv, auch jetzt als Rentnerin – und hinterher dachte ich wieder einmal, wie interessant und vielschichtig so ein Leben doch ist. Und wie erzählenswert, denn das ist meine These. Natürlich habe ich mich auch an die alte Idee erinnert, mit Frauen aus dem Osten zu reden. Wie war ihr Leben früher, wie empfinden sie es heute. Darüber bin ich dann wieder eingeschlafen.



Sonntag, 26. Mai 2024

Auch hier manchmal WG-Gefühle

Wenn der Hausmann mal wieder bei mir ist, weil wir die Maisonette für ein langes Wochenende der lieben Frau mit Hund überlassen haben. Wenn der Iraker uns besucht und wir alle gemeinsam kaffeetisieren. Wenn aus dem Garten Lachen zu mir herauf schallt. Natürlich haben wir gestern auch der alten Zeiten gedacht. Wisst ihr noch, wie wir im ersten Corona-Jahr am 24.12. auf der Terrasse standen mit Suppe und Glühwein? Der Iraker behauptete sogar, wir hätten einen Meter Abstand gehabt. Ich glaube, das denkt er sich aus. Falls nicht, schäme ich mich nachträglich. Wie dumm ich war.

Wir waren wie eine Familie, sagte er ein wenig bedauernd. Und da ist was dran. Ich bin sehr froh, dass er das so erlebt hat. Es gab so etwas wie Eltern (ich stelle ihn genau wie den Syrer gern als meinen Quasi-Sohn vor) und wechselnde Geschwister. Vielleicht schaffen wir es irgendwann einmal, dass sich alle hier bei uns treffen. Aber zuerst muss ich das Schätze-Treffen in der Kirche „schaffen“. Es gibt Kaffee und Kuchen für die Schatzgeber und für die Interviewer natürlich auch. Der Hausmann hat sogar seinen berühmten Rhabarberkuchen gebacken. Die Pferdefrau wird Musik machen, ich glaube, das wird ganz nett.



 

Donnerstag, 23. Mai 2024

Nach den heftigen Güssen gestern

hat es sich abgekühlt. Angenehme Temperaturen für mich, die ich es eher gemäßigt mag. Leider nicht beim Essen. Wenn mir etwas schmeckt, dann esse ich auch dann noch, wenn ich keinen Hunger mehr habe. Eine Art Suchtverhalten sozusagen. (Heute Tag 100 ohne Alkohol, das ist ja sowas von easypeasy, da überlege ich gleich, ob ich nach den 200 Tagen nicht vielleicht doch mal wieder???) Weglassen werde ich das Essen nicht, aber eine magenfreundliche Diät habe ich gestern angefangen. Manchmal schlägt mir ja auch was auf den Magen. Druck. Ärger. Psychostress. Das hat der Magen bisher immer irgendwie weggesteckt. Warum macht er denn jetzt Sperenzchen?

Geärgert habe ich mich heute beim Lesen eines Textes des Institutes für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien der Uni Bremen. Da hatten sie 1996 ein Schwerpunktprogramm, das sich „Sozialer und politischer Wandel im Zuge der Integration der DDR-Gesellschaft“ nannte. Das Wort „Integration“ ist mir aufgestoßen, als ich mich über das Interview-Buch „Die Pantherfrau“ von Sarah Kirsch informieren wollte, über das ich gestern in den Briefen der Christa Wolf gestolpert bin. Der dicke Wälzer liegt seit mehr als einem Jahr auf dem Teewagen, aber ich habe lange nicht darin gelesen. Wenn ich dann mal wieder lese, kommt meist eins zum anderen. Ich recherchiere Namen, auch Werke, bestelle nebenbei Bücher, so richtig voran komme ich mit dem eigentlichen Lesen nicht. Gestern hat mich Sarah Kirsch abgelenkt. Wenn das Buch 1974 erschienen ist, müsste ich es kennen. Aber da klingelte gar nichts bei mir. „Unfrisierte Erzählungen aus dem Kassetten-Recorder“. In einem Interview sagte die Autorin später: „Ich habe da ganz wenig gemacht. Ich habe den Leuten gesagt, daß ich eine Biographie von ihnen haben will, wissen will, wie sie leben, was sie denken, wie es ihnen geht, wofür sie den kleinen Finger ihrer linken Hand opfern würden, was also für sie was ganz Dolles wäre. Und ich saß eigentlich nur dabei.“ Und ich, ich bin jetzt sehr gespannt auf das Ergebnis.



Dienstag, 21. Mai 2024

Ausgeflogen an die Havel

Wo wir die Badestelle die meiste Zeit für uns allein hatten. Nur ab und zu kam jemand vorbei, schwamm eine Runde, stieg aus dem Wasser, und fort waren sie. Das Licht unter den Weiden am Ufer betörend. Das Wasser nach kurzem Luftschnappen angenehm. Natürlich hatten wir auch ein Picknick dabei. Das Brot lag mir lange auf oder im Magen, aber so ist es im Moment mit allem, was ich esse. Göttin sei Dank war ich mit dem Ebike vom Buckower Freund unterwegs, dem vorübergehenden Ersatz für mein Bike, das er zur Reparatur mit nach Berlin genommen hat. Sonst hätte ich auf dem Rückweg gestreikt, hätte mein altes Rad in die Büsche und mich hinterher geworfen vor Ärger. Ich hasse Wind. Und das war kein kleiner, das war schon fast ein Sturm.



Havel in Strodehne


 

Montag, 20. Mai 2024

Das Beet für die Bohnen ist bereitet

Dafür hat der Hausmann aus einem Stück Wiese Grassoden ausgestochen. Das Stück wurde mir gestern zugeteilt, da wuchsen vor einigen Jahren schon mal Kartoffeln. Letztes Jahr hat die Gießener Freundin köstliche Bohnen von ihrem Feld mitgebracht, einige habe ich getrocknet, die Kerne müssen jetzt dringend in die Erde. Während der Hausmann mit Grassoden beschäftigt war, habe ich in den Himbeeren gehockt. Aber wie sonst auch, nach spätestens einer Stunde habe ich das Gefühl, mir würde der Kopf platzen. Dann koche ich eben Kaffee. Von dem köstlichen Kuchen, den der Hausmann gestern zum Feiertag gebacken hat, sind noch zwei kleine Stücke übrig, die wir gleich schwesterlich teilen werden.

Samstag, 18. Mai 2024

Auch hier gibt es einen Pirol

Eine stattliche Birke. Über mir ein Zug mit 14 Kranichen. Sie fliegen so niedrig, dass ich das Rascheln ihrer Gefieder hören kann. Ich hole mir ein Kissen für den Rücken aus dem Haus. Diese verzärtelten Menschen wird der Hund denken, dem ich Samstags manchmal Gesellschaft leiste. Er ist sehr krank, macht aber einen munteren Eindruck. Beim Morgenspaziergang hat er mir schon einen Schrecken eingejagt, als er plötzlich hinter einer dichten Hecke verschwunden war und ich ihn nicht mehr sah, er auch nicht auf mich hörte. Ich hatte mich gerade durch das Dickicht gequält, als er hinter mir auftauchte. Suchst du was?

Freitag, 17. Mai 2024

Morgens im Beet

Da ist es noch kühl. Dann bin ich zurück in mein Atelier gezogen. Himmel, was ich immer so bei mir haben muss. Espressokocher, Milchschäumer, Laptop, Notizbücher, Bücher, Kleidung. Man könnte glauben, ich wäre zwei Wochen verreist gewesen. Nebenan in der Maisonette sieht es fast schon wieder tipptopp aus. Nur ein kleiner Abwasch muss noch erledigt werden. Ich bin so froh, weil mein großer Raum hier mich so heiter empfangen hat. Die alte Eiche, frisch begrünt auch sie, winkt mir zu. Der Wind klingt mal wieder wie Meeresrauschen. Als würden Wellen an meinen Strand heranrollen. Stilles kleines Glück.



Donnerstag, 16. Mai 2024

Bei diesem Wind fliegen

mal wieder die Gartenkissen durch die Gegend. 29 km/h. Da fahre ich auch heute nicht zum Einkaufen. Aber noch besteht die Gefahr des Verhungerns nicht. Zumal die Basics im Haus sind. Espresso, Milch, Brot, Käse, Gurke. Der kleine Wohnungswechsel tut mir gut. Ich arbeite. Und freu mich, weil ich nur kurz aufblicken muss, schon bin ich in dieser wunderbaren Weite verschwunden. Alle halbe Stunde mache ich ein paar Übungen (ich empfehle den Reha Experten Steffen Barth), dann gehe ich hinaus, um mich aufzuwärmen. Lese. Arno Gruen z. B. „Wider den Gehorsam“. Das schmale Bändchen ist gestern gekommen, ich hatte es ganz schnell ausgelesen. Amüsiert hat mich der Text von Konstantin Wecker auf dem Umschlag. „Ein Geschenk für all jene, die bereit sind, querzudenken….“ Ach Konstantin…wat haste dir verändert.

Quer gedacht hat auf alle Fälle Dag Hammerskjöld, den meine mystische Sabine Bobert schon vor Monaten in einem Video erwähnt hatte, da er nicht nur ein sehr besonderer UN-Generalsekretär, sondern auch ein sehr spiritueller Mensch gewesen war. Das nach seinem Tod veröffentlichte Buch „Zeichen am Weg“ wollte ich schon längst gelesen haben. Gestern habe ich mir den Film „The tree of life“ angeschaut, den Rüdiger Sünner über den besonnenen Schweden gemacht hat. Einerseits befremdeten mich wieder die Fotos in den Bäumen, im Fluss, das ging mir in dem Film über Rilke schon so, aber wer weiß, vielleicht gewöhne ich mich daran, dafür haben mich die Details aus dem Leben von Dag Hammerskjöld und die Landschaft des hohen Nordens sehr berührt.

Der Film erzählt von einem Mann, den seine hohe Stellung nicht korrumpiert hatte. Dem es gelungen war, in China inhaftierte amerikanische Piloten freizubekommen, weil er sich auf einer sehr menschlichen Ebene mit dem damaligen Premierminister Tschou En-Lai ausgetauscht, dem er zugehört und nicht verurteilt hatte. Während man übrigens von amerikanischer Seite aus versuchte, Tschou En-Lai zu vergiften. Der hat die zum Tode verurteilten amerikanischen Piloten schließlich frei gelassen, weil er Hammerskjöld ein Geburtstagsgeschenk machen wollte. So erzählt es Rüdiger Sünner, so kann man es selber nachlesen. Und ich könnte bei der nächsten Schweden-Reise das Dag-Hammerskjöld-Museum in Löderup, Gemeinde Ystad besuchen. Was ich alles könnte….



Mittwoch, 15. Mai 2024

Wach um 4

Ein Blick auf die Morgenröte. Weitergeschlafen bis halb 7. Ich gehe früh ins Bett, stehe früh auf. Genieße die Stille im Garten, die natürlich nicht wirklich still ist. Der Pirol. Die Nachtigallen. Usw. Es ist immer wieder ein bisschen magisch. Zwischen Garten und Deich kreisen heute gleich drei rote Milane. Einer attackiert einen anderen. So sieht es zumindest für mich aus. Fliegt dicht an ihn heran, über ihn, und dann scheint es, als würde er sich auf seinen Gegner? die Angebetete? herabfallen lassen. Die Wipfel der Bäume wiegen sich. Warnung vor starkem Wind. Den hätte ich mindestens auf einer Strecke von vorn, würde ich zum Bioladen fahren. Ich warte erst einmal ab.

Kaum habe ich dem Freund die Erlaubnis erteilt, meine Telefonnummer weiterzugeben, schon ist eine Nachricht von der alten Schulfreundin da. Es ist Jahre her, dass wir uns gesehen haben. Dabei waren wir einmal gute Freundinnen. Trotz doch recht unterschiedlicher politischer Ansichten. Sie eine eher rote Socke – hat man das damals schon so gesagt, oder nannten wir es nicht eher regimetreu, ich weiß es nicht – ich eher nicht. Was haben wir uns gestritten. Aber das ging, das war kein Problem. Wenn ich im Sommer mal wieder Schule geschwänzt hatte, dann kam sie nach dem Unterricht raus in die Kleingartenanlage, in der ich bei meiner Großmutter lebte, und dann saßen wir manchmal zu dritt oder viert auf der kleinen Wiese im Garten und gackerten herum. Drei oder vier junge Frauen, und mittendrin der Freund, der jetzt in der Türkei lebt. Allein unter Frauen, er mochte das. Ich bin gespannt, ob die alte Freundin mich tatsächlich hier draußen besucht. Angekündigt hat sie es. Mit ihrem Jeep könnte sie hier problemlos den Jäger oder Förster geben, habe ich ihr geschrieben.



Montag, 13. Mai 2024

Was ich von hier aus sehen kann

Die Wäsche auf der Leine, die ein sanfter Wind hin und her schaukelt. Kühe auf der Wiese links, am Waldrand dahinter ein Hochsitz. Die drei Verschläge, in denen Holz, Räder und Diverses gelagert werden. Zwischen Wäldchen und Deich zwei Vogelscheuchen auf der Wiese. Der Nachbar hat Besuch. Den kenne ich sogar. Ich muss sagen, da wird mir drüben in meinem Atelier doch weniger geboten. Wiese. Ab und zu Kühe. Rehe. Okay. Heute Morgen lief auch noch ein ziemlich großer Hase die Dorfstraße entlang. So als würde er nach einer Hausnummer suchen.

Während der Hausmann in Berlin ist, werde ich in seiner Maisonette schlafen und arbeiten. Das wollte ich schon längst einmal machen. Falls ich bei diesem Blick von hier oben überhaupt zum Arbeiten komme. Hier ist ja doch einiges los.

Eben rief der Buckower Freund an. Das Ebike schnurrt, sagte er. Er hat ein neues Hinterrad mit neuem Motor eingebaut und mit einem seiner alten Akkus getestet. Meinen neuen Akku hat er zurück zur Firma geschickt, weil der nicht mit meinem Gepäckträger kompatibel ist. Den dafür benötigten kann man leider, leider nicht alleine kaufen. Nur zusammen mit dem Akku. Mein Gott, was für Probleme. Die ich alleine niemals, wirklich niemals lösen könnte. Vielen Dank für all die wunderbaren Menschen, die mein Leben nicht nur schöner, sondern auch leichter machen. 



Sonntag, 12. Mai 2024

Pappelwolle


 

Heute frühstücke ich allein im Garten

inmitten des Pappelwollegestöbers. Wie dicke zarte Schneeflocken treiben die Samenfasern an mir vorüber, um mich herum. Der Hausmann sitzt nur wenige Meter von mir entfernt in seinem Bette, er wird später essen, aber er hat mir erzählt, dass er schon wieder Besuch von einer Schwalbe hatte. Wieder konnte er sie fassen und nach draußen entlassen. Ich schaue bis zum Deich, auf die Hügel dahinter. Wie es dort glänzt und leuchtet. Alles neu macht der Mai oder so ähnlich. Vor mir im Baum sitzt eine Nachtigall, die ich im dichten Laub nicht sehen, die ich nur hören kann. Hoch über mir umkreisen sich zwei rote Milane.

Eigentlich wollte ich jetzt das Hörbuch weiterhören, aber das passt nicht zu diesem lieblichen Morgen, nicht zu diesem schönen Tag. Das muss warten. Als ich gestern im Nachbardorf dem kranken Hund Gesellschaft geleistet habe, wollte ich auch ein bisschen arbeiten. Doch dann bin ich an dem Hörbuch „Der Fremde in uns“ von Arno Gruen hängengeblieben. Ich musste immer weiter hören. Da wird so viel klar noch einmal. „Unser Zeitalter verkörpert die Kulmination einer Entwicklung zur Unmenschlichkeit.“ Er bringt erschreckende Beispiele für diese Entmenschlichung vom Schlächter von Lyon Klaus Barbie bis zu Kämpfern im Jugoslawienkrieg. Dabei zitiert er u. a. auch den Schriftsteller und Umweltaktivisten Carl Amery, der Hitler nur für den Vorläufer eines Prozesses hielt, der noch immer in vollem Gange ist.

Arno Gruen hat 2001 für dieses Buch den Geschwister-Scholl-Preis bekommen, da es u. a. von geistiger Unabhängigkeit zeugt. Ich weiß nicht, ob sie ihm den heute noch einmal geben würden. Vielleicht wäre er ihnen doch ein bisschen zu unabhängig denkend. Ich sehe noch das Gesicht des Moderators vom SRF, als Arno Gruen ihm von der Studie der Universität St. Gallen erzählte, die gezeigt hatte, dass heutige Manager (der Beitrag ist von 2015) viel weniger empathische Fähigkeiten hatten als eine Gruppe von kriminellen Psychopathen, die im Gefängnis saßen. Komisch. Außer der NZZ hatte keine Zeitung jemals über diese Studie berichtet. Interessant wäre eine Studie mit Politikern. Aber bevor ich mir da ein Ergebnis vorstelle, gehe ich lieber zu den linden Lüften.



Donnerstag, 9. Mai 2024

Den zweiten Kaffee, den Lupinenkaffee,

trinke ich heute draußen. Mit Wiesen- und Deichblick. Dazu all die schönen Geräusche. Wind. Vögel. Insekten. Ab und zu eine Kuh. Durch die Luft schweben die zarten weißen Samen der Pappeln. Pappelwolle. Den Begriff kannte ich gar nicht. Habe „weiße Flocken in der Luft“ gegoogelt. Meine blauen Gummistiefel werden von einer Hummel umkreist. Das ist keine Blume Schätzekin. Wie wunderschön dieser Mai doch ist. Zumindest bis zum frühen Abend. Dann kommen die Mücken. Wenn ich eines hasse, dann sind das Mücken. Natürlich tauchen sie im Geschwader auf. Dick und fett sind sie. Wir sollten also nicht zu spät kaffeetisieren.

Schon wieder wird ein Kuchen gebacken. Der Hausmann im Rhabarberrausch. Vorhin musste er noch schnell der Gießener Freundin, der ich gerade zum Geburtstag gratuliert hatte, ein Gedicht vortragen. Kein Problem. Auch ihm ist als erstes Rilke eingefallen. Vergiss vergiss und lass uns jetzt nur dies erleben. Nur diesen einen Kuchen noch. Am Waldrand Ross mit Reiter.



Sonntag, 5. Mai 2024


 

Den Regenguss um Mitternacht

habe ich verschlafen. Ich habe auch nicht mitbekommen, wie der Hausmann noch einmal nach draußen gegangen ist, um den Rasenmäher in den Schuppen zu schieben. Dafür war ich mal wieder zur Wolfszeit wach. Machte ein paar Übungen für den Rücken, betete, meditierte, bestaunte das Wetterleuchten, später den Sternenhimmel. Heute morgen haben wir unsere Erfahrungen ausgetauscht. So von Bett zu Bett, wie wir das lange nicht getan haben.

Sein eigenes Bett in der Maisonette hat der Hausmann der jungen Frau überlassen, die hier spontan zu einem Wochenendbesuch aufgetaucht ist. Jener junge Frau also, die letztes Jahr noch überlegt hatte – ungefähr zu selben Zeit wie der Hausmann – ob sie den Sprung von der Stadt aufs Land wagen soll.

Wir haben ihr beide versichert, dass sie jederzeit willkommen ist, um sich hier im Paradies, wie sie es nennt, eine Auszeit zu nehmen. Dann teile ich in der Zeit mit dem Hausmann das Atelier, das haben wir schon oft gemacht, das klappt hervorragend. Wir gutes Team.

Vorhin haben wir – nach dem wir Frauen die Themen Depressionen, Schlaflosigkeit, Schmerzen erörtert hatten – darüber geredet, wie wir uns beim Aufwachen fühlen. Das war dahingehend erhellend, dass ich in guter Gesellschaft bin, was das nicht gerade glückliche Aufwachen betrifft. Sogar der Hausmann konnte da mit uns mithalten. Ich hatte erzählt, dass ich am Tag 83 ohne immer noch darauf warte. Denn davon sprechen die trockenen Alkoholiker. Wie glücklich sie morgens sind und wie sie sich auf den neuen Tag freuen. Ich will morgens auch mal glücklich sein. Aber vielleicht bin ich gar nicht so angelegt. War ich nicht schon als Kind morgens eher nicht glücklich? Das sind so Fragen. Festzustellen ist immerhin, dass auch ein nicht glückliches Aufwachen liebenswerte Menschen hervorbringt.



Donnerstag, 2. Mai 2024

Die Birken wiegen sich im Wind

Es sieht aus, als würden sie zu mir herüber winken. Den Pirol höre ich, gesehen habe ich ihn noch nicht. Die Nachtigallen singen rund um die Uhr, nachts werben auf der Wiese jene Herren, die noch keine Dame erobern konnten. Auch die Kuckucke sind enorm aktiv. Man kann sie aus allen Richtungen hören. Am Knödel nur Spatzen. Bis zu den anderen Vögeln hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass es neuen Stoff gibt. Guten Stoff könnte ich selbst gebrauchen. Dann würde ich mit dem Rad die Abkürzung erkunden, die es angeblich zwischen unserem Dorf und Vehlgast geben soll. Ohne Doping müsste ich den Ausflug mit unangenehmen Schmerzen bezahlen.

Ich bin inzwischen nicht mehr so sicher, dass ich mir bei der kurzen Ohnmacht in Österreich (der Kreislauf nach drei Tagen Migräne mit Kotzen) wirklich „nur“ eine Rippe geprellt, gebrochen oder was auch immer habe. Das ist jetzt fast vier Wochen her, und gerade in den letzten Tagen haben sich die Schmerzen verstärkt. Beim Radfahren, beim Mähen. Beim Beugen. Alles tut weh. Am Anfang waren vor allem Husten und kleinere Bewegungen schmerzhaft. Hätte könnte Frau J. meinetwegen - sollten wir mit dem Zug fahren - den Zugbegleiter fragen, ob er nicht zwei Plätze für zwei alte Damen organisieren könne. Neulich bin ich bei der Frage ja noch zusammengezuckt. Das meint sie doch wohl nicht ernst, oder? Doch, meinte sie.



Fast geschafft

Es ist mir schon beim Frühstück aufgefallen. Die Weihnachtsmusik geht mir auf den Senkel. Vielleicht wäre es anders, gäbe es wenigstens eine...