Freitag, 2. April 2021

Die Idee nimmt Form an

Ich werde für mindestens sechs Monate mein Zimmer untervermieten, werde mir das kleine Gästezimmer einrichten, und dann werde ich reisen, werde Orte aufsuchen, die ich entweder noch einmal oder überhaupt einmal besuchen möchte. Als erstes vielleicht nach Triest. In einer Dokumentation wurde sie mir als Stadt der Literaten angepriesen, die sollte eine wie ich gesehen haben. Aber auch Florenz erscheint mir reizvoll. Einmal im November nach Florenz, davon träume ich auch schon seit zwanzig Jahren. Seit ich einen Artikel in der Brigitte Woman gelesen habe, der mich verzaubert hatte durch die Stimmung, die er während des Lesens in mir erzeugte. Ich sah mich durch schmale nebelverhangene Gassen laufen, in einem Park neben den Uffizien sitzen und vor Figuren aus glattem Marmor in Tränen ausbrechen. 

Darum geht es doch beim Unterwegssein. Um das Fühlen, das an anderen Orten anders ist als dort, wo ich mich normalerweise aufhalte. Als ich vor ein paar Jahren die kleine Geburtstagsrunde eines Freundes gefragt hatte, ob jemand eine Idee hätte, warum wir uns noch einmal auf den Weg machen - ich hatte mich gerade bei Workaway angemeldet, einer wollte noch einmal mit anderen Menschen leben, einer sich ehrenamtlich engagieren - da hatte ein Mann nicht lange überlegen müssen. Die Frage wäre doch ganz einfach zu beantworten. Wir wollen uns noch einmal anders spüren. Ich habe diesen Satz nicht nur nie vergessen, ich habe mich auch ein wenig geärgert, weil ich auf diese Erklärung nicht selbst gekommen bin. Natürlich. Darum geht es. Ich möchte mich noch einmal anders spüren. 

Dieser Wunsch wurde mir vor einer Woche prompt erfüllt. Wir haben einen Corona-Fall in der WG. Den Iraker hat es erwischt. Nicht schlimm, aber wir nehmen es ernst mit der Quarantäne, in die wir uns begeben haben. Keiner verlässt das Haus, mein Taxifahrer-Freund erledigte ein paar Einkäufe für uns, die Freundin unseres Jüngsten bringt ihrem Liebsten regelmäßig warme Köstlichkeiten, die gemeinsam verzehrt werden. Sie steht auf dem Bürgersteig, er im Vorgarten. Es kommt mir ein wenig makaber vor, trotzdem halte ich mich an die Regeln. Der Iraker bleibt in seinem Zimmer, obwohl er auch in den Garten gehen könnte. Dreimal am Tag bringt ihm eine/r von uns eine Mahlzeit. Wenn er da mal nicht ordentlich zulegt. Die Spanierin nimmt es nicht ganz so ernst mit den Regeln, sie knutscht im so genannten Carport - da stehen die Mülltonnen und unsere Räder - mit ihrem Freund, der uns eigentlich gar nicht besuchen dürfte. Beide arbeiten mit alten dementen Menschen. Ich fühle Ärger. Wut sogar. Und lasse sie raus. Mit dem kurzzeitigen guten Gefühl, im Recht zu sein. Was sie da macht, das ist verboten. Verkehrt. Es dauert keine halbe Stunde, dann ist mir mein Verhalten peinlich. Eigentlich ärgere ich mich über diese Quarantäne. Und ich ärgere mich über mich, weil ich mich daran halte. Ich habe meine kleinen Wanderungen eingestellt, sie fehlen mir. Ich wünschte, ich würde mich einfach über die Vorgaben hinwegsetzen, aber das mache ich nicht. Stattdessen maßregele ich die Spanierin. Als ich mich bei ihr entschuldige, tut sie so, als wäre gar nichts gewesen. Das regt mich fast schon wieder auf, aber ich habe das Maß für ungerechtes Verhalten heute schon ausgeschöpft.

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