Donnerstag, 13. November 2025

Wenn es wieder still wird

Der Hausmann hat sich schon gestern Mittag Richtung Hauptstadt verabschiedet, Micha ist heute Morgen Richtung Rostock gefahren. Es fühlt sich eigenartig an, nach trubeligen Tagen plötzlich wieder allein zu sein.

Am Sonntag haben sich in meiner Kemenate vier Frauen unseres Singkreises getroffen. Wir haben Lieder und Mantren gesungen, ich habe wieder ein bisschen geweint dabei. Das wundert niemanden. Sing – lass deine Stimme erblühen. Sing - lass deine Stimme leuchten. Sing - für deine Seele…

 (Die Stimmen schrauben sich dabei in die Höhe, und bei „für deine Seele“ sinken sie wieder weich zurück.)

Unsere musikalische Leiterin, die ja auch meine Lektorin ist, eine Band hat und eigene Songs schreibt, hat vor ein paar Tagen den Podcast „Tune Up your Life“ gelauncht – über Sprache, Klang und Bewusstsein. Sie hat mich gefragt, ob ich für ein Interview zur Verfügung stünde. Ja. Warum nicht. Zumal mir die erste Folge gut gefallen hat. Am Ton kann noch gearbeitet werden, sagt sie selbst, aber die Autofahrt mit ihrem interessanten Gesprächspartner – Musiker und Tischler zugleich – habe ich genossen. Dass mein eigener Interviewtermin gerade mal zwei Tage später stattfinden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Die jungen Frauen sind so schnell.

Und dann kam alles aufeinmal. Während wir die erste Tonprobe für das Interview machten, sah ich unten auf dem Weg vor dem Haus Micha mit seinem Fahrradwohnwagen. Er hatte seine Ankunft zwei Tage zuvor angekündigt, und trotzdem fühlte sich dieser Moment überraschend an.

Micha hat seine Wohnung aufgegeben und ist seit diesem Frühjahr mit seinem Liegerad und dem Fahrradwohnwagen unterwegs. Auf seinem YouTube-Kanal https://www.youtube.com/@MichaNordOst lässt er die Menschen an seiner inneren und äußeren Reise teilhaben.

8100 Abonnenten hat er aktuell, und ich vermute, dass etliche von ihnen einen Traum haben, den sie bisher nicht verwirklichen konnten. Keine Zeit. Kein Geld. Kein Mut. Oder: Das mache ich, wenn ich Rentner/in bin. Nur kann es dann zu spät sein, weil man leider vorher abberufen wurde.

Diese mögliche Abberufung war mit ein Grund für Michas Aufbruch. 2016 bekam er die Diagnose Blutkrebs. Eine seltene Variante. Unheilbar. Dann Chemo – und seit acht Jahren ruht der Krebs. Es geht ihm gut. Aber die Krankheit kann jederzeit wiederkommen. Also fährt er. Open End, mindestens für ein Jahr. Er sagt, dass er alle Jahreszeiten einmal erleben will auf seiner Tour. Da er mit sehr wenig Geld unterwegs ist, gönnt er sich nur selten einen Campingplatz, oft steht er irgendwo in der Pampa.

Manchmal lädt ihn aber auch jemand aus seiner Community ein, dann kann er für ein oder auch ein paar Tage in der Einfahrt oder im Garten stehen, kann die Dusche benutzen. Geschlafen wird immer im Wagen. 75 cm breit. 85 cm hoch. Das muss man mögen. Er mag es. Ein richtiges Bett schlägt er aus. Das kann ich bestätigen.

Es war eine schöne Begegnung. Ich war erstaunt über die Ruhe, mit der Micha Fragen beantwortet, die ihm bestimmt schon unzählige Male gestellt wurden. Ein bescheidener Mann, der sich genauso von seinen Gastgebern berühren lässt wie er sie berührt. Vielleicht kommt er ja wieder einmal vorbei, wenn er in der Gegend ist. Der Platz unter der Kastanie wartet.


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