Ich erinnere mich an das Foto.
Es zeigt zwei junge Männer, Arm in Arm stehen sie da, beide mit langen, welligen Haaren. Sie tragen Jeans und Shirts. Peter und Harald. Weil Harald etwas größer ist, muss Peter seinen Arm ein Stück strecken, um ihn seinem Freund auf die Schulter legen zu können. Sie lächeln in die Kamera.
Ich bin 17 Jahre alt und habe vor ein paar Wochen Bernd, meinen besten Freund, zum Bahnhof gebracht. Er fuhr in ein Zeltlager auf Rügen, wo sich Lehrlinge von der Post und angehende Nachrichtentechniker trafen. Zum Abschied hatte ich sogar ein Plakat gemalt. „Mach’s gut, Bernd“, stand da unter anderem drauf.
Wie er mir später erzählte, hat er allein wegen dieses Plakats für Aufsehen gesorgt und sofort ein paar nette Jungs kennengelernt. Denen er von mir erzählte. Sogar ein Foto von den beiden hat er gemacht. Heute will ich glauben, dass sie sich extra dafür aufgestellt und ihm aufgetragen hatten, es ja seiner Freundin zu zeigen. Ob es wirklich so war – ich weiß es nicht.
Ohne groß zu überlegen, sagte ich damals beim Betrachten des Fotos, dass er mir unbedingt einen der beiden vorstellen müsse. Er hatte nur mit den Schultern gezuckt und wahrscheinlich gar nicht die Absicht, mir diesen Wunsch zu erfüllen.
Aber dann fahren wir eines Tages zum Kaufhaus am Alex – Bernd hat sein letztes Lehrlingsgeld oder seinen ersten Lohn bekommen, viel kann es nicht sein, wir wollen es auf den Kopf hauen – und wen treffen wir dort auf der Rolltreppe?
Peter und Harald.
Der Blitz trifft mich nicht auf der Stelle, aber später weiß ich nicht mehr, wie wir vom Alex zur Friedrichstraße gekommen sind. Gelaufen sind wir nicht, also werden wir wohl mit der S-Bahn gefahren sein.
Und dann sitzen wir in der Bärenschenke, dieser dunklen, verqualmten Kneipe, die jeder Ost-Berliner zumindest dem Namen nach kennt. Für mich ist es mein erster Besuch, die Jungs waren schon öfter hier. Eine typische Trinkkneipe eigentlich. Die meisten bestellen Bier, aber es gibt auch ein kleines Speisenangebot: Bouletten und das für die DDR so typische Ragout Fin. Ich mag es normalerweise, bestelle es auch – bringe aber keinen Bissen herunter. Peters Gegenwart hat meinen Appetit ausgeschaltet.
Etwas passiert zwischen ihm und mir. Blitze fliegen hin und her. Blicke berühren voller Zärtlichkeit und Verlangen.
Ich habe ein wenig Angst, dass ich das alles nur träume. Ich sitze neben Peter und sehe nur ihn. Er sieht nur mich. Die beiden anderen sind noch da, aber für mich fühlt es sich an, als wären sie in einem anderen Raum.
Irgendwann küssen wir uns – als wäre es die selbstverständlichste und zugleich zwingendste Handlung. Auf allen Fotos der nächsten Monate umarmen wir uns, küssen uns, halten uns fest. Ich weiß noch, dass wir mit diesem Verhalten unsere Freunde genervt haben. Aber es ging nicht anders.
Ich war davon überzeugt, dass diese Liebe niemals zu Ende gehen würde. So überzeugt, wie man das vielleicht nur in jungen Jahren sein kann.
Das Leben hat mich etwas anderes gelehrt.
Wir trennten uns – ich war sprunghaft in meinen Gefühlen, keine treue Liebende – kamen wieder zusammen. Er wurde der Vater meines Sohnes. Nach sieben Jahren dann die endgültige Trennung.
Wenn ich mir heute die Fotos von damals anschaue, spüre ich eine große Zärtlichkeit und Liebe für uns beide. Ich würde mir gern zurufen, dass ich mir mehr Mühe geben soll.
Aber: Mühe allein genügt manchmal nicht.
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