Ständig passiert es nicht, aber wenn es passiert, dann ist das ein besonderes Geschenk. Ich bin so froh, dass Herr S. mir von diesem Buch erzählt hat, davon, wie es ihn berührte und dass er gar nicht aufhören konnte mit dem Lesen. Als er fertig war, durfte er es mir sogar leihen. Und nun lebe ich mit Emine Sevgi Özdamar in ihrem Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum". Ich war mit ihr auf einer türkischen Ägäis-Insel, in Istanbul, in West- und in Ost-Berlin, seit 100 Seiten bin ich mit ihr in Paris.
Mitte der 60er war die damals 18jährige das erste Mal als Gastarbeiterin nach Berlin gekommen, 10 Jahre später ein zweites Mal. In der Zwischenzeit hatte sie in Istanbul die Schauspielschule absolviert und erste Rollen am Theater. Der Militärputsch, der sich gegen Linke, Sozialisten, Intellektuelle richtete - und von dem ich viel zu wenig weiß - hatte sie dazu veranlasst, die Türkei zu verlassen. Sie lebte in West-Berlin in WGs und arbeitete in Ost-Berlin an der Volksbühne mit Benno Besson, dem sie später auch nach Paris folgte. Als Mensch mit türkischem Pass konnte sie ohne Probleme die Grenzen passieren. Eine Wanderin zwischen den Welten, die auf ganz besondere Weise von diesem Leben erzählt. Dazu fällt mir eins meiner Lieblingsgedichte von Rilke ein. ....Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken. Man muss nur gehn....
Während ich lese, wundere ich mich manchmal über mich selbst. Hatte ich doch vor ein paar Tagen am Kamin erst gesagt, jetzt käme nach der ganzen Poesie ein bisschen sozialistischer Realismus, als ich mit dem Vorlesen dran war. Und es stimmt. Ich mag das wirkliche Leben, die realistische Darstellung. Sie muss nicht sozialistisch sein natürlich. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt, wie ich mal wieder feststelle, wenn ich den Krähen lausche, die Emine den Weg nach Europa madig machen, wenn ich eben noch in der Ost-Berliner Friedrichstraße, im nächsten Augenblick auf einem Friedhof in Istanbul bin und dort mit Toten spreche. Auch die Wiederholungen stören mich (noch) nicht. Von all den Inspirationen ganz zu schweigen. Ich lese nicht nur, gebe mich nicht nur hin und verschwinde, ich recherchiere auch. Komm. ins Offene, Freund! Dann möchte ich die ganze Elegie von Hölderlin. Und ehe ich mich versehe, lasse ich mir beim Kochen Rüdiger Safranskis Hölderlin-Biografie vorlesen oder lausche dem Gesang von Sofia Vembo. Danke. Vielen Dank.
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